Fazit der zweitägigen Veranstaltung: Die Energiewende und der Umstieg auf Erneuerbare Energien müssen noch entschlossener vorangetrieben werden.
Ein zentraler Hebel für eine erfolgreiche Energiewende ist der Gebäudesektor. Drei Viertel der 21 Millionen Gebäude sind schlecht oder gar nicht gedämmt, werden mit fossiler Energie beheizt und verbrauchen bis zu fünfmal mehr Energie, als heutzutage technisch möglich wäre.
Einen Ausweg aus dem Sanierungsstau bieten serielle Sanierungslösungen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Bestandsgebäude schnell, einfach und bezahlbar auf einen klimaneutralen Net-Zero-Standard bringen. Im Energiesprong Living Lab Teil 1 erläuterten Vordenkerinnen und Vordenker aus der Wohnungswirtschaft ihre Lessons Learned aus ersten Pilotprojekten und Strategien für die klimaneutrale Transformation ihrer Portfolios.
Förderbonus als Sanierungsturbo
Aktuell sind serielle Sanierungslösungen noch kostenintensiver als konventionelle. Damit sie sich am Markt durchsetzen können, ist eine temporäre Anschubfinanzierung notwendig. Innovationen wie die Photovoltaik oder Elektromobilität haben gezeigt, dass aus einem Nischenprodukt ein Erfolgsmodell werden kann. Die dort eingesetzten Fördergelder waren eine Zukunftsinvestition, die sich heute auszahlt.
Dr. Volker Hoppenbrock, Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstrich die Bereitschaft des Ministeriums zur temporären Förderung serieller Sanierungslösungen: „Steigende Zinsen, hohe Baukosten sowie fehlende Fachkräfte bremsen die dringend notwendige Bestandsstandsanierung aus. Mit dem Bonus für serielles Sanieren, dem Worst Performing Bonus sowie verlässlichen Förderbedingungen wird das BMWK diese Bremse lösen und 2023 zu einem Jahr der seriellen Sanierung machen.“
Einig waren sich die Referenten, dass serielle, skalierbare Lösungen für die Bestandssanierung dringend gebraucht werden. Als zweitgrößtes deutsches Wohnungsunternehmen leistet die LEG mit ihrem Reallabor in Mönchengladbach ein Stück weit Pionierarbeit. An 16 baugleichen Gebäuden setzen B&O, ecoworks, Fischbach und Saint-Gobain pre-formance unterschiedliche serielle Sanierungsansätze um. Ziel des Reallabors ist die Entwicklung eines skalierbaren Sanierungskonzepts, das die energetische Modernisierung in der Breite ermöglicht.
„Das LEG Reallabor ist ideal, um gemeinsam Erfahrungen zu sammeln und sich gegenseitig auszutauschen. So muss nicht jeder die gleichen Fehler machen“, betonte Mathias Ponitka von der LEG Wohnen NRW GmbH. Von den Ergebnissen des Reallabors soll die gesamte Wohnungswirtschaft profitieren.
Sanierung neu denken
Mit 556.000 Wohnungen ist Vonovia der größte Wohnungskonzern in Deutschland. In der Bochumer Katharinastraße hat der Konzern im Juli 2022 die erste Energiesprong-Sanierung abgeschlossen. Von dem Projekt soll ein Nachhaltigkeitsschub für den gesamten Bestand ausgehen. Um ihr Portfolio bis 2045 in die CO2-Neutralität zu führen, hat die Vonovia Klimapfade definiert, die mit Maßnahmen, Investitionen und Prioritäten untersetzt sind.
Die serielle Gebäudesanierung ist für den Konzern essenziell, um schneller und effektiver in die Fläche zu kommen und seine ambitionierte Sanierungsquote von drei Prozent zu halten. „Wir müssen hin zu passgenauen Sanierungsprodukten für geeignete Portfolios und weg von Einzellösungen, für nur für bestimmte Gebäude passen“, brachte Stephen Guhr, Geschäftsführer der Vonovia Engineering GmbH, die Herausforderung auf den Punkt.
Da sie in der Regel über einen Bestand verfügen, der eine Vielzahl gleichförmiger Gebäude aufweist, sind kommunale Wohnungsgesellschaften prädestiniert, bei der seriellen Sanierung mit gutem Beispiel voranzugehen. Mit dem derzeit größten Sanierungsprojekt in Deutschland setzt die GEWOBAU Erlangen Maßstäbe: 6.000 Wohneinheiten werden in den nächsten vier Jahren seriell saniert – rund drei Viertel des 8.800 Wohneinheiten umfassenden Gebäudebestandes.
„Als kommunales Wohnungsunternehmen ist es uns besonders wichtig, unsere Mieterinnen und Mieter finanziell nicht zu überlasten. Die serielle Sanierung zeigt, dass sich klimaneutrales Wohnen auch mietkostenneutral umsetzen lässt“, machte Gernot Küchler, Geschäftsführer der GEWOBAU Erlangen, deutlich. Rund 400 Mio. Euro investiert das kommunale Wohnungsunternehmen in die klimaneutrale Transformation seines Bestandes.
Über den Tellerrand hinausblicken
Im Living Lab Teil 2 präsentierten die Macherinnen und Macher aus der Bauwirtschaft serielle Net-Zero-Lösungen und Skalierungsansätze, die den Schritt von einzelnen Gebäuden zu größeren Beständen ermöglichen.
Um gemeinsam für mehr Tempo bei der Bestandsanierung zu sorgen, haben der deutsche Wohnungsbaukonzern LEG und das österreichische Bauunternehmen Rhomberg Anfang dieses Jahres das gemeinsame Joint-Venture Renowate gegründet.
„Wir bieten unseren Kunden eine Rundum-Sorglos-Sanierung inklusive Fördermittelberatung und Mieterkommunikation in Renowate Speed“, betonte Geschäftsführer Andreas Miltz. Die ersten beiden Objekte in der Zeppelinstraße in Mönchengladbach gingen Ende Juli an den Start und werden Ende des Jahres fertiggestellt. 2023 will das Unternehmen 14 weitere Projekte finalisieren.
Das Berliner Start-up Ecoworks hat 2019 das deutschlandweit erste Energiesprong-Projekt in Hameln umgesetzt und sein serielles Sanierungskonzept seitdem in zahlreichen Folgeprojekten weiter optimiert. Mittlerweile zählt das Unternehmen zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen der seriellen Sanierung.
Auch wenn sich die serielle Sanierung durch die Förderung und Energieersparnis auch heute schon rechnet, muss die Kostenschraube weiter nach unten gedreht werden. „Im Rahmen der Sanierung kann durch Aufstockung bis zu 40 Prozent neuer Wohnraum geschaffen werden, der zusätzliche Mieteinnahmen generiert und damit die serielle Sanierung refinanziert“, so Emanuel Heisenberg, Gründer und Geschäftsführer von Ecoworks.
Der Gesamtlösungsanbieter B&O investiert 25 Mio. Euro in Fassadenfertigung 4.0. „Mit einem eigenen Werk wollen wir unabhängig von internationalen Lieferketten werden und kostengünstiger für unsere Kunden“, erklärte Heinz Scheve, Geschäftsführer der B&O Holzbau GmbH.
Bis 2024 werden die Kapazitäten im hochautomatisierten Werk in Frankfurt/ Oder von aktuell 50.000 m2 stufenweise auf 100.000 m2 ausgebaut, was einer Fassadenfläche von rund 1.500 Wohnungen pro Jahr entspricht. Durch Verkürzung der Planung, Reduzierung von Schnittstellen und schnellere Abläufe rechne man mit Kostensenkungen von mindestens 10 Prozent.
Hürden ab- und Akzeptanz aufbauen
Saint-Gobain ist als Gesamtlösungsanbieter vor Kurzem in den seriellen Sanierungsmarkt eingestiegen. Mit dem Tochterunternehmen pre-formance will der weltweit größte Baustoffkonzern die Bestandssanierung künftig aktiv vorantreiben und serielles Sanieren in Bestzeit anbieten.
„Damit wir unserem Anspruch gerecht werden können, brauchen wir einen Abbau regulatorischer Hürden“, forderte Victoria Renz-Kiefel, Direktorin für Systeme und Lösungen bei Saint-Gobain. Unterschiedliche Bauordnungen bremsen die Bestandssanierung aus und verhindern, dass die serielle Sanierung von einzelnen Projekten schnell in die Breite kommt.
Ein Rollout der seriellen Sanierung auf größere Bestände setzt die breite Akzeptanz der Mieterinnen und Mieter voraus. Soll die energetische Modernisierung nach dem Energiesprong-Prinzip in bewohntem Zustand durchgeführt werden, muss die Beeinträchtigung so gering wie möglich sein. Dies erfordert innovative technische Lösungen. Eine bauliche Besonderheit in Erlangen sind die sogenannten Ground Cubes – unterirdisch verbaute Betonkuben, in denen die komplette Gebäudetechnik vorinstalliert ist.
„Die Leitungen müssen nicht aufwendig innerhalb des Gebäudes verlegt werden, sondern befinden sich in einem Backpacker-Strang an der neuen Fassade. Die Wartung erfolgt einmal jährlich von außen, sodass die Bewohnerinnen und Bewohner quasi nicht belastet werden“, erläuterte Dr. Burkhard Schulze Darup von Schulze Darup & Partner Architekten, der die GEWOBAU Erlangen bei der Planung und Realisierung ihres Sanierungsvorhabens berät.