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Seriell aus dem Sanierungsstau

Im Podcast „Gebäudewende“ des Gebäude-Energieberaters gab Uwe Bigalke, Teamleiter Energiesprong, interessante Einblicke in den aktuellen Stand der seriellen Sanierung.

Um die Klimaziele im Gebäudesektor bis 2045 zu erreichen, müssen rund drei Viertel der 21 Millionen Bestandsgebäude in den nächsten 22 Jahren energetisch saniert werden. Rein rechnerisch sind das rund 2.000 Gebäude pro Tag. Mit konventionellen Verfahren ist diese Mammutaufgabe nicht zu schaffen. Aufwendige Planungen, steigende Kosten und fehlende Fachkräfte bremsen die dringend notwendige Sanierung im Gebäudebereich aus. Gefragt sind innovative Lösungen, die mehr Dynamik in die Bestandssanierung bringen. Ein vielversprechender Ansatz, um die energetische Modernisierung auf breiter Ebene voranzutreiben, ist das serielle Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip

Uwe Bigalke, Teamleiter Energiesprong

Im Podcast „Gebäudewende“ des Gebäude-Energieberater gab Uwe Bigalke, Teamleiter Energiesprong bei der dena, interessante Einblicke in den aktuellen Entwicklungsstand.

Zum Unterschied zwischen konventioneller und serieller Sanierung

Konventionelle Sanierung betrachtet Gebäude als Einzelprojekte, die jedes Mal anders ausgeführt werden. Serielle Sanierung denkt energetische Modernisierung als Produkt, das digitale Planung mit industrieller Vorfertigung und standardisierten Prozessen kombiniert. Mit diesem innovativen Baukasten aus Komponenten, Modulen und Tools können Gebäude schnell, einfach und bezahlbar auf den klimaneutralen NetZero Standard gebracht werden. 

Zum Kostensenkungspotenzial serieller Sanierungslösungen

Ist der serielle Baukasten erstellt, kann man Punkt für Punkt an den größten Kostentreibern arbeiten, um auf ein für den Breitenmarkt akzeptables Kostenniveau zu kommen. Erfahrungen aus den Niederlanden, wo bereits über 5.000 Wohneinheiten seriell saniert wurden, haben gezeigt, dass gegenüber den ersten Pilotprojekten Kostensenkungen von bis zu 50 Prozent möglich sind. 

Zur Zeitersparnis serieller Sanierungslösungen

Die Lernkurve ist steil. Wir merken, dass bei den zweiten und dritten Projekten die Prozessabläufe zwischen Bau- und Wohnungsunternehmen immer besser funktionieren. Partner, die langjährige Erfahrung in der seriellen Sanierung haben, können mittlerweile vier Mehrfamilienhäuser innerhalb von vier bis fünf Monaten parallel fertigstellen. Also deutlich schneller als dies mit konventionellen Verfahren möglich wäre.

Montage der Wärmepumpe

Zum NetZero Standard

Nach der seriellen Sanierung sollen die Gebäude NetZero Standard erreichen. Das bedeutet, dass im Jahresdurchschnitt so viel regenerative Energie erzeugt wird, wie die Bewohner für Heizung, Warmwasser und Strom benötigen. Das Monitoring der ersten Piloten hat gezeigt, dass dieses Ziel sogar übererfüllt wird. 

Zur Entwicklungsperspektive serieller Sanierungslösungen

Unsere Vision ist, dass eine Gebäudesanierung einfach übers Internet konfiguriert werden kann. Nach dem 3D-Gebäudescan erfolgt die computergestützte Planung, sodass zeitnah ein präzises Angebot vorliegt. Ein kleines Mehrfamilienhaus mit 20 Wohneinheiten sollte im Idealfall innerhalb von zwei Monaten abgewickelt werden, mit möglichst nur einem Tag Belastung für die Mieterinnen und Mieter, an dem die Fenster entfernt und Heizung sowie Lüftung angeschlossen werden. 

Zur seriellen Sanierung von Einfamilienhäusern

In einem ersten Schritt haben wir uns auf einfache Wohngebäude aus den 50er bis 70er Jahren mit einfacher Kubatur und bis zu vier Geschossen fokussiert. Das Mehrfamilienhaus-Segment ist der Startpunkt, weil es dort skalierbare Bestände gibt, mit denen wir schnell in die Breite kommen. Einfamilienhäuser sind der nächste wichtige Entwicklungsschritt. Auch, weil es ein sehr interessanter Markt für Komponentenhersteller wie z.B. Heizungsunternehmen ist. Da im Einfamilienhausbereich große Mengen abgesetzt werden, ist man hier eher bereit, in Forschung und Entwicklung zu investieren. 

Zur Rolle von Energieberaterinnen und Energieberatern

Sie werden in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Projektanbahnung spielen. Durch ihre enge Verbindung zum Einfamilienhaus-Bereich können in diesem Segment der zentrale Türöffner sein. Auch eine koordinierende oder gestaltende Rolle ist perspektivisch denkbar. 

Einfamilienhaus mit Photovoltaikanlage auf dem Dach

Zu den Herausforderungen im Einfamilienhaus-Bereich 

Das größte Hindernis sind fehlende digitale Lösungen. Man kann Projekte im Einfamilienhaus-Segment nur dann effizient abwickeln, wenn man einen guten digitalen Prozess mit gut funktionierenden Tools hat. Wenn wir das hätten, könnten wir mit den Einfamilienhäusern richtig loslegen. 

Zur seriellen Sanierung von Nichtwohngebäuden

Einfache Büro- und Verwaltungsgebäude sowie Schulen sind die nächsten Gebäudetypen, die wir für gut machbar halten und mit denen wir uns Schritt für Schritt in Richtung mehr Komplexität wagen wollen. In diesem Bereich sind wir bereits mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in intensivem Austausch. 

Zum offenen Austausch und gegenseitigen Lernen

Unter Wohnungsunternehmen funktioniert das schon sehr gut, weil sie sich nicht als direkte Konkurrenten, sondern eher als Leidensgenossen sehen, die mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen haben. Auf unseren Netzwerksveranstaltungen tauscht man sich offen darüber aus, welche Technikansätze man für zielführend hält und welche eher nicht. Bei Bauunternehmen ist es hingegen so, dass der Technikvorsprung als Tafelsilber gesehen wird. Erkenntnisse, Erfahrungen und Entwicklungen werden hier sehr sparsam geteilt. Viele lassen sich da nicht ganz so tief in die Karten blicken. 

Vorgefertigtes Fassadenelement | Bild: dena, Fotograf: Jörg Parsick-Mathieu

Zu Innovationen im Fassadenbereich

Wir sehen spannende Entwicklungen in der Fassadentechnik. So zum Beispiel tragende Dämmstoffe wie Polystyrol, die ohne Holzrahmenkonstruktion auskommen. Sie werden inklusive Fenstern, Rollläden und Lüftung komplett im Werk vorgefertigt und als sechs mal drei Meter große Fassadenmodule zur Baustelle transportiert. Da das Material sehr leicht ist, sind keine komplexen Befestigungslösungen erforderlich, was die Montage vereinfacht. In Bezug auf die Nachhaltigkeit ist Polystyrol natürlich nicht optimal. Ein vielversprechender Ansatz ist deshalb biobasiertes Polystyrol aus landwirtschaftlichen Abfällen. 

Begehbarer unterirdischer Betonkubus, mit gesamter Versorgungsinfrastruktur der Gebäude | Bild: dena, Fotograf: Jörg Parsick-Mathieu

Zu Innovationen bei der Anlagentechnik

Da gibt es einige innovative Konzepte, wie zum Beispiel den Ground Cube, ein unterirdischer, begehbarer Betonkubus, in dem die gesamte Technik für drei bis vier Wohnblocks verbaut ist. Die Wärmeversorgung der einzelnen Gebäude erfolgt über ein Nahwärmenetz. Der zweite Ansatz ist eine modulare Wärmepumpenlösung, die in den Dachboden gesetzt wird. Die dritte Variante sind kompakte Wärmepumpen pro Wohneinheit. Es gibt auch einen Ansatz mit einer solaraktiven Fassade, die so viel Sonnenenergie aufnimmt, dass überhaupt keine klassische Heizung mehr notwendig ist. An kalten Tagen reicht ein Infrarotstrahler. Darüber hinaus sehen wir eine Tendenz, immer mehr Technik in die Fassade zu integrieren und damit den Eingriff in die Wohnungen auf ein Minimum zu reduzieren. 

Zur digitalen Prozessoptimierung

Ich glaube, dass wir mit digitalen Lösungen die Prozesse noch deutlich optimieren können. Ideal wäre ein Onlineportal, das den Bauablauf für alle Akteure transparent macht. So könnten Termine besser koordiniert und Mieterinnen und Mieter individueller informiert werden. Für Ältere, die nicht so internetaffin sind, sollte es eine Hotline geben. 

Zur Bedeutung des Monitorings

Neben dem energetischen Monitoring, das fester Bestandteil des Energiesprong-Konzepts ist, legen wir großen Wert auf das projektbezogene Monitoring. Die Lessons Learned sind für die gesamte Branche wichtig, um Prozesse und Abläufe weiter zu optimieren. Das ist nicht immer einfach, weil niemand gerne offen über Fehler spricht, funktioniert dank der soliden Vertrauensbasis unter den Netzwerkspartner immer besser. 

Zu den Zielen für die nächsten zwei Jahre

Nach dem, was wir aus dem Netzwerk hören, können bis Ende nächsten Jahres rund 2.000 Wohneinheiten fertiggestellt sein. Wir rechnen allerdings damit, dass der 15-prozentige Bonus für serielles Sanieren viele Wohnungsunternehmen und Einfamilienhausbesitzer aktivieren wird, ihre Gebäude fit für die klimaneutrale Zukunft zu machen. Bis 2025 wünschen wir uns ein exponentielles Wachstum. Wenn es uns gelingt, die Sanierungsrate in Deutschland nur um ein halbes Prozent zu erhöhen, sind 200.000 Wohneinheiten pro Jahr im Rahmen des Möglichen.  

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